Verteidigung des Barnabas Evangeliums


War Judas an Jesu Stelle gekreuzigt worden?“, hatte sich die Diskussion im Wechselspiel von Rede und Gegenrede so weit verzweigt, daß wir mit unserer Antwort auf die letzte Gegenrede (siehe dort) nun einen neuen Blog-Eintrag machen.
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Also, also, Burhanuddin, das macht sich auf den ersten Blick ganz gut, was Du schreibst, näher besehen indes erweist sich das meiste der vorgelegten Argumente als problematisch oder gar als einfach falsch bzw. veraltet.
Du schreibst: „Es gibt keine Textüberlieferung des Barnabasevangeliums vor dem 16. Jahrhundert.“
Die Problematik dieser Behauptung läßt sich an einem analogen Fall erklären, der in Justins Dialog vorliegt, einem der ältesten christlichen Texte außerhalb des Neuen Testaments. Justin wurde 165 n. Chr. in Rom hingerichtet, er schrieb den Dialog ca. 140 n. Chr. und dieser wird in Eusebius’ Kirchengeschichte von ca. 325 n. Chr. erwähnt. Die einzige erhaltene Handschrift datiert jedoch aus dem 16. Jahrhundert. Dennoch bezweifelt die Forschung nicht, daß es sich tatsächlich um den frühchristlichen Dialog handelt. Der Dialog enthält Evangelienzitate mit besonders archaischen, später eliminierten Lesarten, die sich etwas später im Diatessaron seines Schülers Tatian wiederfinden. Völlig analog finden sich auch im Barnabas Evangelium archaische später eliminerte Lesarten. Dieses Beispiel dient bei W. S. Petersen, „Tatians Diatessaron“ (Leiden 1994), zur Illustration der textkritischen Regel, daß das Alter von Handschriften und das Alter darin enthaltener Lesarten eben etwas völlig verschiedenes sind.
Du schreibst: „Im Gegensatz zu den kanonischen und auch zu anderen apokryphen Texten ist bei christlichen Kirchenvätern oder Kirchenlehrern kein Zitat aus dem Barnabasevangelium nachgewiesen.“
Es ist alles ein bißchen komplizierter: So gibt es sehr wohl Zitate aus einem Matthias Evangelium. Aufgrund bestimmter Indizien läßt sich folgern, daß Barnabas und Matthias eine und dieselbe Person waren. Die Barnabasakten, die älter sind als die Auffindung seines Grabes in Zypern, berichten, daß Barnabas verschiedene Dokumente mit sich führte. Ferner soll Er durch Auflegen eines dieser Bücher Kranke geheilt haben. Markus, der die Barnabasakten geschrieben haben will, hätte diese Dokumente später nach Alexandria mitgenommen. Etwa 140 Jahre später zitiert Clemens von Alexandria aus einem Matthias Evangelium!
Du schreibst: „Es wird vor dem 16. Jahrhundert auch von keinem islamischen Autor erwähnt.“
Ja und, was folgt daraus? Das Argument kehrt sich doch um. Denn wäre das Barnabas Evangelium eine muslimische Fälschung, hätten diejenigen, die einen solchen Aufwand trieben, es auch erwähnt.
Du schreibst: „Es gibt im Barnabasevangelium mehrere schwere historische und geographische Fehler, wie beispielsweise, daß Jesus Christus geboren wurde, als Pilatus Statthalter war (also ab 26 oder 27 n. Chr.), oder daß Jesus zu Schiff nach Jerusalem reiste (das aber inmitten des Festlands liegt).“
Dazu dies: Selbst in die Überlieferung der kanonischen Texte haben sich zahlreiche Fehler eingeschlichen, ohne daß man sie deshalb in Bausch und Bogen abgelehnt oder gar für eine Fälschung gehalten hätte. Ich empfinde die hinter diesem Argument stehende Haltung als überängstlich, sie ist einfach unangemessen, hochneurotisch, irgendwie krank. – Vielleicht hat ein müder Abschreiber Herodes und Pilatus durcheinandergebracht. Na und? Da wir aber nur eine vollständige Handschrift besitzen, läßt sich so ein trivialer Fehler nicht emendieren. Zum zweiten genannten Beispiel dies: Zu allen Zeiten war bekannt, daß Jerusalem in einem Hügelland und fern des Meeres liegt. Die Bibel genügt dafür, das zu wissen. Jesus könnte jedoch ohne weiteres, beispielsweise mit dem Fischerboot des Petrus, vom See Genezareth den Jordan hinunter bis in die Nähe Jerusalems gefahren sein. Hier von einem „schweren … geographischen Fehler“ zu sprechen, wie Du es tust, ist einfach völlig daneben, geradezu irre. Darauf hatte ich schon vor zwanzig Jahren in der Auseinandersetzung mit Frau Dr. Schirrmacher und jenem Mönch Jan Slomp hingewiesen, und jetzt kommst Du im Tonfall des bestallten Richters und bringst doch nur den kalten Kaffee: jenes reine Produkt der Verängstigung der evangelikalen Szene durch ein heiliges Buch.
Wenn Du schreibst, es gäbe „im Barnabasevangelium Widersprüche zu frühen nicht-christlichen Quellen“, dann solltest Du diese Quellen nennen. In dieser allgemeinen Form vorgebracht, ist eine Stellungnahme dazu nicht möglich.
Dann sagst Du: „Das Barnabasevangelium zitiert aus der Vulgata, der lateinischen Bibelübersetzung, die jedoch erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. entstand.“
Hier wiederholst Du nur einen Fehler, den andere vor Dir gemacht hatten: Die Raggs behaupteten nämlich im Jahre 1907 irrtümlich, das Barnabasevangelium zitiere aus der Vulgata. Tatsächlich zitiert es häufig aus einer Evangelienharmonie, die Lesarten entgegen dem Vulgatatext mit Tatians Diatessaron aus dem 2. Jahrhundert teilt (vgl. Joosten in: Harvard Theological Review 2002 sowie in: Journal of Theological Studies 2010, ferner Claudio Malzoni in: Revue biblique S. 585 (2006)).
Dann sagt Du, das Barnabas Evangelium erwähne nur „vier der Fünf Säulen des Islam, die jedoch vor der Entstehung des Islam im 7. Jahrhundert n. Chr. unbekannt waren“.
Du solltest wissen: Die „5 Säulen“ sind kein Alleinstellungsmerkmal des Islam! Glaubensbekenntnis an einen Gott, regelmäßiges Gebet, Armensteuer, Fasten und Pilgerfahrten gab es auch im Judentum und frühen Christentum. Belege u. a. bei Tertullian. Damit läßt sich also weder etwas beweisen noch widerlegen.
Und dann noch dies: Die Kreuzigung des Judas läßt sich anhand dessen, was uns zur Zeit vorliegt, ebenso wenig beweisen wie die von Jesus. Fakt ist, daß judenchristliche Sekten in verschiedenen Varianten glaubten, daß an der Stelle Jesu ein anderer gekreuzigt worden war. Ein Beispiel liefern die Johannesakten (2. Jhdt.). Bei den Ebionäern ist es Simon von Zyrene, der an der Stelle Jesu gekreuzigt worden sein soll (Lk. 23,26). In der persischen Evangelienharmonie, die aus dem Aramäischen übersetzt wurde und ebenfalls eine Fülle archaischer Lesarten enthält, sagt Jesus zu Judas: „Auf dich (komme) das, wozu du gekommen bist.“ Demzufolge wäre nach Meinung des Autors Judas gekreuzigt worden. Da es sich auch hier um eine alte, später nicht mehr vertretene Lehre handelt, ist auch dies ein Argument für das hohe Alter der Barnabas-Überlieferung.
Weitere Argumente für das hohe Alter der Barnabas-Überlieferung liefert die Perikope von der Sünderin, die gesteinigt werden sollte. In unserem Evangelium sehen die Pharisäer auf dem Boden ihre Sünden, wie in einem Spiegel. Im ältesten armenischen Manuskript des Johannes Evangeliums heißt es entsprechend: Und sie sahen ihre Sünden auf den Steinen. Codex Edschmiadzin (892 n. Chr.):
»Jesus antwortete und sprach: „Kommt ihr, die ihr ohne Sünde seid, werft Steine und steinigt sie zu Tode.“ Aber er selbst, seinen Kopf beugend, schrieb mit dem Finger auf die Erde, um ihre Sünden zu verkünden. Und sie alle sahen ihre Sünden auf den Steinen. Aber sie, erfüllt von Scham, gingen weg, und niemand blieb als allein die Frau. Sagte Jesus: „Geh in Frieden und bringe das Opfer für Sünden, wie es in ihrem Gesetz steht.“«
Die Erwähnung des Gesetzes zeigt im übrigen neben anderen Details, daß es sich hier um eine judenchristliche Version der Geschichte handelt. Man weiß durch Eusebius, daß sie auch im Nazaräer Evangelium stand.
Zum Vergleich diese Stelle aus dem Barnabas Evangelium: „Da beugte sich Jesus hinunter und machte mit dem Finger einen Spiegel auf den Boden, in dem ein jeder seine eigenen Verfehlungen sah.“ (Kap. 201 (Übers. S. Linges))
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Abschließend möchte ich noch ein Wort zum Stil Deiner Postings sagen und daß ich es als unangemessen empfinde, wenn Du mit Prädikaten wie „Strohmann-Argument“ oder „non sequitur“ herummachst und dabei einen logischen Anstand künstelst, so diese Prädikate doch gar nicht in die Logik, sondern in Rhetorik oder die Kunst gehören, Recht zu behalten. Grundsätzlich empfinde ich es auch als bodenlos naiv, wenn Du glaubst, der Sache durch Einforderung „wissenschaftlicher Belege“ dienen zu können. Denn zum einen gibt es auf der Welt so wenig Belege, die das Prädikat „wissenschaftlich“ tragen könnten, wie es grundsätzlich auch keine „wissenschaftlichen Erkenntnisse“ gibt – es gibt, kantisch gesprochen, nur wahre und falsche Erkenntnisse, und eine jede Erkenntnis, ganz gleich in welchem sozialen (beispielsweise dem wissenschaftlichen) Kontext hervorgebracht, muß auch falsch sein können – und ein Hinweis auf die Wissenschaft nur unlauter sein kann, wenn damit suggeriert wird, eine entsprechende Erkenntnis müsse wahr sein. Wir brauchen keine, wie Du sie nennst, „wissenschaftlichen Belege, was wir brauchen und was uns völlig reicht, sind Belege!
Das ist der ewige Mythos der Halbgebildeten, die „Wissenschaft“, obwohl Thomas S. Kuhn schon vor dreißig Jahren herausgefunden hatte, daß Paradigmenwechsel in den Wissenschaften sich nicht etwa dem guten Argument verdanken, wie wir alle naivermaßen geglaubt hatten, sondern nurmehr den „Kräften des Sozialspieles“. Damit ist „Wissenschaft“ im Prinzip für jeden Rechtschaffenen erledigt und als durch gesellschaftliche Umstände prinzipiell korrumpierbar bzw. korrumpiert entlarvt. Im Falle der Bibelwissenschaften verschärft sich dieses Problem zudem insofern, als alle Bibelforschung seit Hunderten von Jahren fest in der Hand der Kirchen ist. Ich brauche nicht auch noch zu erwähnen, daß eine mehrbändige „Kriminalgeschichte des Christentums“ auf guten Gründen ruht.
So weit,
mit besten Wünschen,
wa s-salam
Salim
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